Als der fachliche Schwerpunkt unseres Austausches wurde der Vergleich zweier Künstler gewählt, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten:

Der eine, Gian Lorenzo Bernini, ein schon als Jugendlicher gefeierter Star des barocken Rom, der andere, Ernst Barlach, ein verschlossener und von den Nazis als entartet gebrandmarkter Mann, der sich bewusst von den breiteren künstlerischen Strömungen seiner Zeit ausschloss und sich in der mecklenburgischen Provinz verkroch.

Da Barlach auch für die Mecklenburger Schüler im Lehrplan Kunst nur am Rande auftaucht, beschlossen wir, den italienischen und den deutschen Schülern gemeinsam auf Englisch eine Einführung zu Leben und Werk des Mannes zu geben.
Hierzu lernten die Schüler die Ausdruckssprache Barlachs anhand des Werkes „Ruhender Däubler“ kennen. Mit Adjektiven wie „imposant“ und „selbstbewusst“ beschrieben die Schüler das Werk auf Arbeitsblättern.

ro2018 01Auffällig war für sie auch, dass Barlach nur Hände und Gesichter seiner Figuren im Detail herausarbeitet, für den Rest des Körpers ist die große Linie ihm wichtiger. (Wie wir später erfahren sollten, sind auch Bernini Füße und Hände extrem wichtig. Durch das Material – schweres, dunkles Eichenholz, nicht überall gleich stark geglättet – wird die Bodenständigkeit betont. Im späteren Werk treten die Individuen zurück hinter den allgemeingültig-menschlichen Empfindungen.

Um die Ablehnung durch die Reichskulturkammer verstehen zu lernen, wurde ein spätes Werk Barlachs, das Kenotaph der Stadt Magdeburg, mit einer Figur des dem NS-Regime nahestehenden Künstlers Arno Breker („der Sieger“) kontrastiert. Hier Leiden, Entsetzen, Leere und Verlust, durch eigene Erfahrungen geprägt, dort ein trotziger, unreflektierter Durchhaltewillen als Vorbild eines fehlgeleiteten Volkes.

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Die Stunde diente als Vorbereitung des Besuchs der Ernst-Barlach-Stiftung in Güstrow. Dort erhielten wir eine anhand der ausgestellten Werke und Fotografien illustrierte Einführung
in Leben und Werk, danach ging es in die Workshops. Hierzu möchte ich anmerken, dass die italienischen Schüler praktisches Arbeiten sehr wenig gewohnt sind. Dort ist der Unterricht in Kunst eine Reihe von Vorlesungen in Kunstgeschichte. Dementsprechend begeistert und aufgeschlossen nahmen sie jetzt teil. Die Aufgaben waren: Dialog mit einer Figur (die deutsch-italienischen Paare suchten sich eine Figur aus, einer der beiden wurde zu ihr, der andere befragte die Figur), dann zeichneten die Schüler mit Kohle Figuren ihrer Wahl, abschließend versuchten sie in derselben Formensprache Gefühle durch Tonfiguren darzustellen. Die fachliche und sprachliche Anleitung durch die Museumspädagogin Franziska Hell war eindrucksvoll.

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Beim anschließenden Aufenthalt in der Stadt besuchten die Schüler die Gertruden-Kapelle, wo weitere Werke Barlachs stehen, sowie den Dom mit dem „Schwebenden“ (einem weiteren Ehrenmal für die Opfer der 1. Weltkrieges) dessen wechselvolle Geschichte typisch für den fast symbolisch zu nennenden Umgang mit Barlachs Werk ist.
Auffällig war für die Schüler, wie sehr sich die Stadt Güstrow heute mit dem Künstler identifiziert, wie omnipräsent der Name auf Schildern und Hinweisen ist.

Um den großen Wissensvorsprung der italienischen Schüler zu den Künstlern aus Renaissance und Barock etwas aufzuholen, fand im März an unserer Schule ein Vorbereitungstag statt, an dem neben italienischer Geschichte (z.B. Garibaldi, Mussolini, aktuelle Entwicklungen) und Sprache auch eine Lerneinheit zu Raffael, Michelangelo, Caravaggio und Bernini unterrichtet wurde.

Beim Gegenbesuch im April diesen Jahres in Rom nun hörten und sahen die Schüler eine gemeinsame Stunde über Bernini. Gehalten wurde diese von zwei amerikanischen Studentinnen, die dort in Rom Kunstgeschichte studieren und als pädagogischen Teil ihres einjährigen Kurses italienische Oberstufenschüler auf Englisch unterrichten. Hierbei wurde uns klar, dass der Künstler nicht nur Statuen hinterlassen hat, sondern stark an der barocken Umgestaltung der ganzen Stadt beteiligt war: am Petersplatz und Petersdom, an der Piazza Navona, am Trevibrunnen, am Capitol und an zahlreichen Palazzi.

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In den folgenden Tagen konnten wir diese alle besichtigen, mit Führungen in den Vatikanischen Museen und der Villa Borghese, sowie mit durch Schüler geführten Rundgängen.

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Immer wieder thematisierten die Schüler die Gemeinsamkeiten und Kontraste. Etwa bei der Betrachtung der „Daphne“: Hier verwandelt Bernini in Marmor ausgedrücktes menschliches Fleisch in Holz, in filigranste Blätter des Lorbeer. Der für ihn typische Werkstoff, fast symbolisch für Härte und Zeitlosigkeit, wird vergänglich und zart. Der Mantel des Apoll ist so fein geschliffen, dass er das Licht durchlässt.

Eine der Besonderheiten Bernini‘scher Statuen sind die quasi eingefrorenen Bewegungen – das Hauptunterscheidungsmerkmal etwa zu den Künstlern der Renaissance, deren Figuren in sich ruhen – und Gefühle. Die Entschlossenheit des „David“, den Bernini nicht als Sieger, sondern im Augenblick des Kampfes portraitiert, drückt sich nicht nur im Gesicht, sondern im ganzen Körper aus. Der „Geistkämpfer“ Barlachs hat ein ähnliches Konzept, wenn sein Gesicht auch abgeklärter wirkt.

ro2018 12Und schließlich sollte uns auch Barlach selbst in Rom begegnen: die Sammlungen des Vatikan zeigen in ihrer Abteilung zur zeitgenössischen Kunst eine Skulptur des Mecklenburger Künstlers.

Wir danken der Warburg-Melchior-Olearius-Stiftung hiermit herzlich für die großzügige Unterstützung, ohne die diese Reise mit ihren faszinierenden Eindrücken und Erkenntnissen und besonders den neuen internationalen Freundschaften zwischen Schülern und Familien nicht möglich gewesen wäre.

M. Höppner

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